Laudatio zur Vergabe des „frechen Mario“ 2008
Dr. Michael Schmidt-Salomon, München, 10.10.08
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin gebeten worden, hier einige Worte zu sprechen und ich hoffe, Sie verzeihen es mir, wenn ich dies in aller Deutlichkeit tue – auch auf die Gefahr hin, anzuecken. Diese Veranstaltung, meine Damen und Herren, ist Ausdruck einer schamlosen Respektlosigkeit gegenüber den religiösen Gefühlen gläubiger Menschen! – Und das ist auch gut so!
Denn Respekt ist nichts, wofür man einen Blankoscheck ausstellen könnte. Das Wort „Respekt“ (von lateinisch „respectus“: Zurückschauen, Rücksicht) bezeichnet eine Form der Achtung und Ehrerbietung gegenüber einer anderen Person, ihren Handlungen oder Überzeugungen. Als Humanisten, die für die Universalität der Menschenrechte streiten, haben wir natürlich keinerlei Schwierigkeiten damit, auch sehr religiöse Menschen als Menschen zu respektieren. Doch viele ihrer Handlungen und Überzeugungen haben schlichtweg keinen Respekt verdient! Wer es respektiert, dass muslimische Eltern ihre Töchter aufgrund religiös begründeter Sexualneurosen vom Schwimmunterricht abmelden, wer es respektiert, dass christlich fundamentalistische Eltern aufgrund wahnhafter Schöpfungsvorstellungen den Biologieunterricht boykottieren, wer es gar respektiert, dass Schwule gehängt und „Ehebrecherinnen“ gesteinigt werden, der redet der Gegenaufklärung das Wort und wird auf diese Weise zu einem Unterstützer des Wahns.
Entschuldigen Sie bitte, dass ich das böse W-Wort gebraucht habe. Gläubige reagieren oft sehr gekränkt, wenn man Religion mit Wahn in Verbindung bringt. Doch leider fällt mir beim besten Willen kein besseres Wort ein, um jene grandiose Lächerlichkeit zu fassen, die in nahezu jedem Glaubensbekenntnis zum Ausdruck kommt.
Vergleichen wir die Glaubenswahrheiten nur mit den realen kosmologischen Fakten: Die Sonne, um die wir uns drehen, ist bekanntlich bloß ein unauffälliger Stern in einem unbedeutenden Spiralarm am Rande der Milchstraße. Allein unsere Heimatgalaxie umfasst über 100 Milliarden weiterer Sterne und neben der Milchstraße gibt es Hundert Milliarden weiterer Galaxien mit jeweils Hunderten Milliarden weiterer Sonnen. Ruft man sich diese Dimensionen ins Bewusstsein, so weiß man, dass die Erde in der Tat nichts weiter ist als ein Staubkorn im Weltall. Was soll man nun angesichts dieses Faktums davon halten, wenn eine affenartige Lebensform, die sich zufällig auf diesem Staubpartikel entwickelt hat, eine Spezies, die es vor schlappen zwei Milliarden Jahren längst noch nicht gab und die es schlappen in zwei Milliarden Jahren längst nicht mehr geben wird, Geschichten erfindet, die davon handeln, dass das gesamte Universum letztlich nur für sie allein geschaffen wurde?
Ist es nicht Ausdruck eines kaum noch steigerungsfähigen Größenwahns, wenn sich diese Trockennasenaffen-Art, die ihre Existenz dem zufälligen Überleben von Urratten nach dem Einschlag eines zehn Kilometer großen Asteroiden vor 65 Millionen Jahren verdankt, sich einen imaginären Schöpfer des Universums (Gott) einbildet, der nichts Besseres zu tun hat, als sich ausgerechnet in Gestalt dieser Affenart zu inkarnieren (Christentum) oder aber mit Argusaugen darüber zu wachen, ob diese vorübergehende Lebensform auf ihrem unbedeutenden Planetchen Schweinshaxen isst oder nicht (Judentum, Islam)?!
Man hat Richard Dawkins sehr dafür kritisiert, dass er den Begriff „Gotteswahn“ gebrauchte, aber ich bitte Sie: Gibt es irgendeinen Begriff, der diese alle Dimensionen sprengende Selbstüberschätzung besser treffen würde? Im Grunde ist der Begriff „Wahn“ fast schon zu harmlos, um diesen atemberaubenden Blödsinn zu beschreiben! Und sagen Sie bloß nicht, dass es nicht sein kann, dass Millionen, ja Milliarden von Menschen einem Wahn unterliegen. Werfen Sie nur einen Blick in unsere Geschichte, diese entsetzliche Orgie der Gewalt, des Hasses, der Rache, der Niedertracht! Vergegenwärtigen Sie sich, welche Nichtigkeiten genügten, um Menschen dazu zu bringen, andere zu demütigen, zu foltern, vor den Augen ihrer Liebsten abzuschlachten! Gäbe es einen kosmischen Psychiater, würde er dem Patienten „Menschheit“ angesichts seiner klinischen Vorgeschichte zweifellos eine extrem hohe Anfälligkeit für soziopathische Wahnideen attestieren.
Das einzige Gegengift gegen Wahn ist die Konfrontation mit der Wirklichkeit in Form Kritik. Gerade bei Aussagen, die einen besonders hohen Wahrheitsanspruch für sich reklamieren (und dies ist bei religiösen Aussagen normalerweise der Fall!), ist Kritik einfach unerlässlich! Wenn jemand bloß einen bescheidenen Wahrheitsanspruch formuliert (etwa so: „Zurzeit nehme ich an, dass exzessive Onanie zu Schweißfüßen führt, aber ich kann mich natürlich irren. Vielleicht höre ich schon morgen bessere Argumente und erkenne, dass Onanie und Schweißfüße in keinem Zusammenhang zueinander stehen“), so ist eine kritische Stellungnahme zwar sinnvoll, aber nicht unbedingt im gleichen Maße erforderlich wie in dem Fall, dass jemand mit einem sehr umfassenden Wahrheitsanspruch auftritt (etwa so: „Es wurde von Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, offenbart, dass Onanie zu Schweißfüßen führt. Im Namen der heiligen Fußhygiene ist daher Onanie strengstens untersagt – und dies nicht nur heute, sondern auch morgen und in alle Ewigkeit! Wer die von Gott offenbarte Schweißfuß-Wahrheit auch nur ansatzweise in Frage stellt, der sei für immer verflucht!“).
Kritik ist also gerade bei religiös untermauerten Aussagen von allergrößter Bedeutung. Nun ist es jedoch tragischerweise so, dass ausgerechnet diejenigen, die Kritik am dringendsten benötigten, am wenigsten in der Lage sind, Kritik zu ertragen. Dies hat etwa der Karikaturenstreit sehr deutlich werden lassen: Männer, die es mit einem milden Lächeln quittieren, wenn direkt vor ihren Augen eine Frau in den Boden eingegraben und gesteinigt wird, brechen vor Schmerz in sich zusammen, wenn sie eine harmlose Zeichnung sehen, auf der ihr ach so geliebter Prophet karikiert wird. Die Frage ist: Darf man gläubigen Menschen (nicht bloß den Hardcore-Gläubigen, die an Steinigungen Vergnügen finden!) jene Schmerzen zufügen, die mit einer kritischen Infragestellung ihrer „Glaubenswahrheiten“ unweigerlich verbunden sind? Ist es legitim, mittels Kritik (sei sie nun satirisch formuliert oder nicht) religiöse Gefühle zu verletzen?
Hierauf kann es nur eine Antwort geben: Selbstverständlich ist es legitim, religiöse Gefühle zu verletzen, wenn dies zur Durchsetzung einer aufgeklärteren und humaneren Sichtweise erforderlich ist! Es wäre falsch verstandene Rücksichtsnahme, würde man das Projekt der Aufklärung aufkündigen, nur weil sich eine Gruppe von Menschen durch die Entzauberung ihrer Illusionen gekränkt fühlen könnte. Schließlich ist es ja gerade die Funktion der Aufklärung, tradierte Denkblockaden zu sprengen, was zwangsläufig lieb gewonnene Vorurteile in Frage stellt.
Warum jedoch wird das aufklärerische Aufbrechen von Vorurteilen von religiöser Seite aus so schnell als „Verletzung“ empfunden? Dies ist weit weniger darauf zurückzuführen, dass Aufklärer in ihrer Kritik mit besonderer Brachialgewalt vorzugehen pflegen, sondern vielmehr darauf, dass viele Gläubige in Bezug auf ihre religiösen Gefühle enorm verletzungsanfällig sind. Überdurchschnittlich religiöse Menschen leiden, so könnte man es vielleicht am treffendsten formulieren, unter einem „emotionalen Glasknochen-Syndrom“: In der Regel genügt eine kleine, spitze Bemerkung – und der religiöse Knochenbruch ist vorprogrammiert.
Bei Lichte betrachtet hätten aufklärerisch gesinnte, religionsfreie Menschen eigentlich weit triftigere Gründe, sich aufgrund der zahlreichen religiösern Angriffe auf ihre Lebenshaltung in ihren „weltanschaulichen Gefühlen“ verletzt zu sehen. Denn was sind schon die harmlosen Späßchen, mit denen sich aufklärerische Satiriker über religiöse Glaubensvorstellungen lustig machen, verglichen mit dem, was ihnen in Bibel und Koran angedroht wird? Was, bitteschön, drückt eine größere Missachtung der Person aus: der aufklärerische Spott über obskure Glaubensvorstellungen („Diesen Unsinn könnt ihr doch nicht wirklich Ernst nehmen!“) oder die in den „heiligen Texten“ ständig wiederholte Drohung mit ewigen Höllenqualen („Dafür werdet ihr ewig brennen!“)? Obgleich die objektiven Reize, denen Ungläubige (in Wort und Tat!) ausgesetzt sind, weit gravierender sind, als jene, mit denen sich Gläubige herumplagen müssen, ergehen sie sich nicht in wütenden Protesten, sie rufen auch nicht nach dem Zensor, geschweige denn, dass sie religiöse Prediger an Leib und Leben bedrohen würden. Der Unterschied in der Kritikempfindlichkeit von religionsfreien und sehr religiösen Menschen ist höchst signifikant, was wohl daran liegt, dass religiöse Menschen meinen, ihre Überzeugungen seien heilig, also unantastbar und müssten deshalb unter Denk-mal-Schutz (im wahrsten Sinne des Wortes) gestellt werden…
Sollte man nun auf das emotionale Glasknochen-Syndrom der Gläubigen Rücksicht nehmen? Nein, auf keinen Fall! Denn dies würde das Krankheitsbild ja nur noch verschimmern! Es ist im Prinzip wie bei einer Spinnenphobie: Wer unter der wahnhaften Angst leidet, beim Anblick einer Spinne sterben zu müssen, der kann seine Angst nur dadurch überwinden, dass er mit dem Auslöser seiner Angst konfrontiert wird. Ähnlich ist es bei der Kritikphobie der Religiösen: Auch hier hilft im Grunde nur systematische Desensibilisierung. Wir müssen die Gläubigen mit soviel Kritik und Satire versorgen, dass sie irgendwann einmal selbst erkennen, wie unsinnig es ist, wegen einer harmlosen Zeichnung in die Luft zu gehen wie das berühmte HB-Männchen oder schlimmer noch: andere in die Luft zu sprengen, wie es Osama bin Ladens al-Qaida im vergangenen Sommer mit Hinweis auf die Mohammed-Karikaturen tat.
Weil nun die systematische Desensibilisierung der Gläubigen eine wichtige Aufgabe ist, ist die Verleihung des „frechen Mario“ für blasphemische Kunst auch ein bedeutsames kulturpolitisches Signal! Und wir sollten es in diesem Zusammenhang auch in aller Deutlichkeit herausstellen, damit dies endlich auch ins gesellschaftliche Bewusstsein eindringt: Die Verletzung religiöser Gefühle – bekanntlich schon seit Sokrates ein beliebter Vorwurf gegenüber aufklärerischen Philosophen – ist beileibe keine Freveltat, für die man sich schämen müsste, sondern (in der Regel zumindest) eine überaus honorige Angelegenheit, ja, ich möchte sogar sagen: ein Akt wahrer Nächstenliebe. Denn wer religiöse Gefühle verletzt, der fördert die Denkfähigkeit! Schließlich ist Kritik ein Geschenk, das dem Kritisierten dazu verhelfen kann, sich von Denkirrtümern zu befreien. Und wenn dies stimmt, so wäre es geradezu unethisch, religiöse Menschen einfach auszuschließen, sie also nicht mit Kritik beschenken zu wollen. Ich wiederhole daher den dringenden Appell, den ich schon vor zwei Jahren auf der Veranstaltung der religionsfreien Zone formulierte: Lassen Sie Ihre Mitmenschen bitte nicht dumm sterben, sondern verletzen Sie religiöse Gefühle, wo Sie nur können!
Selbstverständlich sollte die Verletzung religiöser Gefühle mit Sinn und Verstand geschehen – gerade dann, wenn man sich des hochwirksamen Therapeutikums der Satire bedient. Denn auch wenn Satire nach Tucholsky „alles darf“, so ist doch nicht alles Satire, was sich als solche bezeichnet. Eine Satire unterscheidet sich vom dummen Spaß, von bloßer Geschmacklosigkeit oder antiaufklärerischer Hohn-Propaganda dadurch, dass sie auf humorvolle Weise existentiell bedeutsame Wahrheiten aufdeckt, die bis dahin nebulös verborgen waren. Hier zeigt sich der aufklärerische Impetus der Satire, ihre subversive Kraft. Deshalb können und dürfen wir auf das Instrument der Satire nicht verzichten, selbst wenn die „Internationale der beleidigten Leberwürste“ uns dies abverlangen möchte.
Auf das immer wieder geäußerte Ansinnen „Schluss mit lustig!“ kann es daher nur eine aufklärerische Antwort geben – und die heißt: „Schluss mit blöde! Wenn etwas genuin lächerlich ist, so muss darüber auch angstfrei gelacht werden können! Basta!“ Jedes noch so kleine Zugeständnis an die Adresse religiöser bskurantisten wäre ein verhängnisvoller Fehler, denn es würde von diesen als Ermutigung empfunden werden, das von ihnen verfolgte, „Projekt der Gegenaufklärung“ weiter voranzutreiben.
Vor diesem Hintergrund waren die zaghaften Reaktionen westlicher Politiker auf den sog. „Karikaturenstreit“ höchst problematisch. Jede Zeitung, jeder Rundfunk- oder Fernsehsender fragt sich seither noch ängstlicher, wie weit sie/er in punkto Religionskritik überhaupt noch gehen darf. Die berühmte „Schere im Kopf“ wurde durch den Karikaturenstreit erneut geschliffen, was für das Projekt der offenen Gesellschaft eine gefährliche Bedrohung darstellt. Denn der Freiheitsgrad einer Gesellschaft zeigt sich insbesondere darin, wie weit sie Satire zulässt. In jeder Diktatur sind es zuallererst die Satiriker, die dran glauben müssen. Warum? Weil sie auf unwiderstehliche Weise das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit bei jenen Großkopferten entlarven, die sich selbst als besondere Autoritäten verstanden wissen wollen.
Auch heute sind wir auf die Autoritätsuntergrabende Funktion der Satire dringend angewiesen. Deshalb hoffe ich sehr, dass die Verleihung des frechen Mario dem unter Druck geratenen satirischen Geist ein wenig aus der Klemme helfen kann. Dass auf die Ausschreibung des Preises über 600 Einsendungen eintrafen, ist zumindest ein ermutigendes Zeichen.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich bei allen bedanken, die diese Veranstaltung möglich gemacht haben. In erster Linie gilt dieser Dank Assunta Tammelleo und Wolf Steinberger vom bfg München. Es ist wirklich fantastisch, was ihr immer wieder auf die Beine stellt!
Bedanken möchte ich mich auch bei unseren Gastgebern Dietmar Holzapfel und Sepp Sattler für die Bereitstellung dieses schönen Veranstaltungsraumes. Ein herzlicher Dank auch an die Mitglieder der Jury, die sich durch Hunderte von Einsendungen kämpfen mussten, was mit einigem Stress, aber sicherlich auch mit einigem Spaß verbunden war. Ein besonders herzlicher Dank gilt natürlich den vielen Einsendern selbst. Es hätten, wie ich hörte, auch viele andere Beiträge einen Preis verdient gehabt.
Last but not least habe ich die Ehre, den Gewinnern des „Frechen Mario“ 2008 zu gratulieren: Salvatore Pertutti, Leo Lukas + Team, Til Mette, Dieter Wessinger und Della Croce. Machen Sie bitte alle weiter so! Und lassen Sie sich nicht einschüchtern von jenen, die es einfach nicht verstehen, das Geschenk Ihrer Kritik mit der gebotenen Dankbarkeit entgegen zu nehmen.
Nun ja, wie sagt mein guter Freund, der Wiener Evolutionsbiologe Franz M. Wuketits, so schön, wenn sich mal wieder zeigt, wie wenig Aufklärung am Ende doch auszurichten vermag: „Tja. Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst!“
Es lohnt sich nicht, eine Trauerklage über die finsteren Verhältnisse in der Welt anzustimmen. Wir sollten uns vielmehr darum bemühen, aktiv etwas an diesen Verhältnissen zu ändern. Dabei gilt: Dieser Kampf sollte niemals verbissen geführt werden, sondern stets mit einer gehörigen Portion Humor. Denn was Karlheinz Deschner über das Christentum schrieb, das gilt ebenso für jedes andere irrationale Glaubenssystem: „Wann geht sie unter, diese Liebesreligion – nicht durch Zorn, durch Rache, durch Folter und Scheiterhaufen, nein, in einem Sturm von Gelächter, der den Erdball erschüttert…“
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.